top of page

Verspannungen lösen. Warum dehnen nicht immer die Antwort ist.

Ca. 11 Millionen Menschen in Deutschland leiden an chronischen Schmerzen. Darunter fallen alle Schmerzen, welche mindestens 3 Monate andauern. Oft sind es Kopf-, Gelenk- und Rückenschmerzen, die den Betroffenen ein großes Stück an Lebensqualität raubt.



Fast wöchentlich komme ich als Personal Trainer mit dem Thema Verspannung in Berührung. Oft berichten die Betroffenen von einer Bewegungseinschränkung und einem stechenden oder auch ziehenden Schmerz bei bestimmten Bewegungen. Häufig wird dann zur Dehnung des vermeintlich kurzen, angespannten Muskels geraten. Was ich allerdings beobachtet habe ist, dass klassische Dehnungen in den aller meisten Fällen, wenn überhaupt, nur temporär helfen. Die Verspannung wird oftmals nur minimal besser oder es stellt sich keine Verbesserung ein. Deshalb habe ich mir die Frage gestellt. Ist klassisches dehnen wirklich die geeignetste Maßnahme gegen langanhaltende Verspannungen?


Vor allem wenn wir über chronische Verspannung sprechen, sollte dir klar sein, dass die Verspannung selber nur das Symptom sein kann und nicht die Ursache darstellt. Denn dein Körper hat im ersten Schritt nur ein Ziel. Dich am Leben zu halten. Ein verwundetes "Tier", stellt nämlich leichte Beute dar, welches dein Körper auf garkeinen Fall sein möchte. Deshalb signalisiert er dir durch die Verspannung eine oftmals tieferliegende Schmerzursache. Eine langfristige schmerzhafte Nackenverspannung, welche durch regelmäßige Massagen und Dehnungen, akut gelindert werden kann, behebt nicht die Ursache, sondern lindert "nur" das Symptom. Bitte versteh mich hier nicht falsch. Der erste Schritt, sollte aus meiner Sicht immer darin liegen, die Schmerzen zu lindern. Alleine schon damit du dich deutlich wohler fühlst und den Alltag besser beschreiten kannst. Es ist aber nicht die entgültige Lösung und das Ende. Sobald du im ersten Schritt schmerzfrei bist, ist es empfehlenswert "Sherlock Holmes zu werden" und der Ursache auf die Schliche zu kommen. Dies kann eine lange, mühsame Aufgabe werden, vor allem weil dein Körper aus so vielen zusammenarbeitenden Systemen besteht, welche sich untereinander beeinflussen. Am Ende wird es sich aber mehr als positiv auszahlen. Also wo sollst du anfangen?


Ratsam ist im ersten Schritt, neben einer Akutbehandlung, oftmals das Notieren einer Reflektion. Folgende Fragen können dir dabei helfen:

1. Wann treten die Schmerzen/ Verspannungen auf?

2. Gibt es einen konkreten Auslöser?

3. Wie verändert sich der Schmerz/ die Verspannung im Tagesverlauf?

4. Wie sehen meine aktuellen Tage/ mein aktueller Lebensstil aus?

5. Wie fühle ich mich körperlich und emotional?

6. Was habe ich schon alles ausprobiert um die Verspannung zu lösen?

7. Gibt es strukturelle Abnormen oder leide ich an einer Krankheit?

8. Wie sieht mein Arbeitsleben aus? Wie fühle ich mich aktuell bei der Arbeit?

9. In welchen Bereichen (Bewegung, Ernährung, Entspannung etc.) könnte ich mehr Aufmerksamkeit investieren?

10. Was machen die Schmerzen schlimmer oder besser?


Vielen hilft es ein "Ursachenforschungstagebuch" für eine bestimmte Zeit zu führen. Meine Empfehlung sind mindestens 2-4 Wochen, bei länger andauernden chronischen Verspannung auch gerne länger. Es kann dir dabei helfen ein Muster zu erkennen und weitere Antworten auf die oberen Fragen zu gewinnen. Ein solches Tagebuch muss nicht kompliziert sein. Abends die tägliche Schmerzintensität zu notieren ist bereits oft ausreichend und ein guter Start.


Im zweiten Schritt solltest du den Schmerz nicht als Feind sehen, sondern eher als einen guten Freund, welcher dich vor einigen Tätigkeiten, Situationen und Bewegungen schützt. Er gibt dir Rat, was alles wunderbar funktioniert und was eventuell nicht so gut klappt. Dies ist aus meiner Sicht ein essentieller erster Gedankenweg, welcher sicherlich schwierig ist umzusetzen, jedoch langfristig bei der Ursachensuche und im Alltag helfen kann. Fokussiere dich auf die Dinge die funktionen und lass die Dinge, die nicht gut funktionieren erst einmal so weit es geht aus.


Mit der Hilfe von Ärzten, Physiotherapeuten, Heilpraktikern, Osteopathen und auch Personal Trainern kannst du dann gemeinsam nach dem Ausschlussprinzip auf Ursachenforschung gehen. Aus meiner Sicht gibt es nämlich primär 2 Gründe für Schmerzen und Verspannungen, bei denen dir die verschiedensten Experten helfen können.


1. Strukturelle Störungen

2. Funktionelle Störungen


Mit strukturellen Störungen meine ich, dass tatsächlich etwas an deinem Körper defekt ist. Nehmen wir als Beispiel einen echten Bandscheibenvorfall in der Halswirbelsäule. In diesem Beispiel sieht man durch bildgebende Verfahren wie Röntgen oder MRT, dass an der Wirbelsäulenstruktur etwas defekt ist, welchen den Schmerz und eine Nackenverspannung auslösen kann. Aber was ist wenn strukturell alles in Ordnung scheint? In diesem Fall kann es eine funktionelle Störung geben. Das bedeutet es scheint erst einmal nichts defekt zu sein, sondern eine gewisse Struktur (in diesem Fall die Nackenmuskulatur) ist überfordert oder auch unterfordert mit der ihr auferlegten Last. Vergleichen kannst du das mit einem Arbeitskollegen, welcher in Urlaub geht und dir für diese Zeit seine Aufgaben übergibt. Während dieser Zeitspanne hast du also eine Menge Mehrarbeit zu leisten. Allerdings nur bis dein Kollege wieder aus dem Urlaub zurück ist. Das heißt, du kannst seine Arbeit während seiner Abwesenheit gut kompensieren. Nehmen wir jetzt allerdings mal an, dein Kollege ist während er anwesend ist nicht in der Lage seine Aufgaben adequat auszuführen und du musst Tag für Tag seine Arbeit kompensieren. Das würde dich eventuell überfordern bzw. du würdest deinem Chef (oder im Schmerzbeispiel deinem Gehirn) sagen, dass du aktuell zu viel Aufgaben kompensieren musst (gleichzusetzen mit dem Schmerzsignal). Zum Glück und zu gleich leider, ist dein Körper ein unglaublich guter Kompensierer. Er kompensiert wo immer er muss, damit es dir gut geht. Manchmal ist es aber zu viel. Die Frage, die man sich nun stellen kann, ist "Warum arbeitet der Kollege nicht ideal mit, sodass kompensiert werden muss?". Die Antwort darauf kann sehr vielfälltig sein. Vielleicht ist der Kollege krank. Vielleicht ist er aktuell nicht in der Lage und Position die Aufgaben zu erledigen. Vielleicht weiß der Kollege auch gar nicht wie man die Aufgaben richtig ausführt oder vielleicht hat er die Aufgaben einfach sehr lange nicht mehr ausgeführt. Du merkst sicherlich wozu das führen kann. Noch mehr Fragen und noch mehr Möglichkeiten, was die Ursache sein könnte. Wenn du jetzt allerdings aufgibst und nicht proaktiv bleibst, kannst du deinem kompensierenden Arbeiter nicht helfen. Deshalb geht es weiter auf dem "Ursachenfindeweg".


Wenn wir von Verspannung reden meinen wir oft einen angespannten Muskel, welcher uns hindert bestimmte Bewegungen auszuführen. Oft sagen wir auch "Der Muskel ist verkürzt". Mit dem eben genannten Beispiel weißt du, das dieser Muskel vielleicht etwas kompensieren muss und damit überfordert ist. Bleiben wir bei dem Beispiel der Nackenverspannung. Deine Nackenmuskulatur kompensiert vielleicht irgend etwas. Was kann das sein? Ich würde dir dazu gerne einen Ansatz erläutern.


Der Gelenk für Gelenk Ansatz.


Dieser Ansatz nimmt an, dass deine Gelenke unterschiedliche Fähigkeiten aufweisen müssen, damit sie in Bewegung ideal zusammenarbeiten können und Gelenke nicht zu viel kompensieren müssen. Diese Fähigkeiten sind entweder Mobilität (Beweglichkeit) oder Stabilität (Kontrolle während Bewegung). Deine Hüfte sollte z. B. Mobilität aufweisen, deine Lendenwirbelsäule Stabilität, deine Brustwirbelsäule Mobilität und deine Halswirbelsäle wieder Stabilität. Deshalb macht es oft Sinn sich die Bereiche unter und über der betroffenen Stelle anzugucken, um herauszufinden ob der verspannte Bereich Einschränkungen in den darunter oder darüber liegenden Bereichen kompensieren muss. Beim Beispiel Nackenverspannung macht es deshalb z. B. durch aus Sinn, sich die Beweglichkeit der Brustwirbelsäule und die Stabilität der Schulterblätter anzugucken. Denn es kann sein, dass der Nacken ein Defizit der Brustwirbelsäule oder der Schulterblätter ausgleichen muss. Verdammt, noch mehr Möglichkeiten wo die Ursache liegen könnte.


Der Finale Schritt. Was kannst du konkret unternehmen um langfristig schmerzfrei zu werden und zu bleiben?


Ich fasse nochmal alle beschriebenen Schritte zusammen:


1. Bei einem Arzt ein strukturelles Problem ausschließen lassen.

1.1 Liegt ein strukturelles Problem vor, notwendige Behandlung mit dem Arzt gemeinsam besprechen. Frage nach, wenn dir etwas unklar ist.

2. Führe für einige Wochen ein "Ursachenforschungsheft", in dem du dir abends notierst wie der Schmerz über Tag war.

3. Sieh den Schmerz nicht als Feind. Sondern als einen Freund der dich vor falschen Bewegungen bewahrt.

4. Konzentriere dich auf die Dinge die wunderbar funktionieren und nicht zu sehr auf die, die aktuell nicht so gut funktionieren.

5. Teste was den Schmerz verschlimmert oder lindert. Suche dafür die verschiedensten Experten auf. Physiotherapeuten, Heilpraktiker, Chiropraktiker, Osteopathen, Personal Trainer.

6. Lass dich durch einen oben genannten Experten auf Stabilitäts- oder Mobilitätsdefizite testen.


Am Ende ist es sehr häufig, eine Kombination aus mehreren Lösungsmöglichkeiten, welche deine Symptome lindern und deine Ursache beheben können. Manuelle Techniken, angewandt durch einen Physiotherapeuten, Osteopathen oder Chiropraktiker, Medikamente eines Arztes oder Naturheilkunde eines Heilpraktikers, mehr Bewegung mit einem Personal Trainer. Ganz egal was hilft, versuche die für dich geeignetste Behandlung aus und beobachte wie es dir damit geht. Denn du alleine entscheidest, was dir gut tut, was du bereit bist in deine Gesundheit zu investieren und wie du dein Leben lebst. Aber bitte tu mir einen gefallen, auch wenn es häufig sehr sehr schwer fällt. Sei kein Strauß und steck den Kopf in den Sand. Sei proaktiv und du bekommst deine Verspannung in den Griff. Noch ein letzter Tipp:


Beantworte dir jeden Abend vor dem Schlafen gehen die folgende Frage:

Wofür bin ich heute besonders dankbar und glücklich?


Denk nicht darüber nach warum du dich das fragen sollst, sondern versuche es einfach mal aus. Bleib proaktiv!



 

Quellen:

25 Ansichten
bottom of page